



Arabisches Atlantis
Mit freundlicher Genehmigung der Autorin Nicole Quint.
Auch mehr als 200 Jahre nach ihrer Wiederentdeckung lehrt die legendäre Felsenstadt Petra Jordanien-Reisende immer wieder das Staunen.
Geld-zurück-Garantie für den Besuch von Weltkulturerbe-Stätten – das wäre der sichere Ruin für Reiseveranstalter. Darauf möchte man wetten, nagt doch schon jetzt der Zweifel am Reisenden, ob es überhaupt eine gute Idee war, nach Petra zu fahren. Wie eine schwere Schleppe ziehen die Besucher ihre Angst vor Enttäuschung hinter sich her, quer durch den ganzen Siq, einer rund 1,5 Kilometer langen Felsenschlucht, die ins Innere der Stadt führt.
Dutzende Bildbände haben sie durchblättert, Reportagen gelesen und natürlich auch Spielbergs Kinofilm „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“ gesehen, dessen Schlussszenen im Siq gedreht wurden. „Kennen wir doch bereits alles“, könnte deshalb ihre abgeklärte Reaktion beim Anblick der Felsengräber sein, und so fürchten sie vor allem die Ernüchterung.
Doch erzähltes Essen macht nicht satt, und Fotos ersetzen nicht das Gefühl, das allein die Dramaturgie dieses Ortes hervorrufen kann. Licht schlägt gerade seinen Fächer auf und lässt das Aquarell des Sandsteins leuchten – Perlrosa, Ziegelrot, Flachsgelb, Apricot und Zartgrau. Ein Idyll – still und steinern. Hinter jeder weiteren Windung des Weges warten neue Aussichten, neue Farben, überrascht hier ein blühender Oleanderbusch, klammern sich dort wilde Kapernsträucher an den Stein, und am Ausgang des Siq formen vorstehende Felssprünge ein kolossales Schlüsselloch, durch das man hindurch auf die rötlichen Säulen des Khazneh al-Firaun, das Schatzhaus des Pharaos, spähen kann. Jetzt setzt es ein, das erwartete Wiedererkennen, die befürchtete Enttäuschung bleibt jedoch aus. Stattdessen wird das tote Wissen in den Touristenköpfen nun auf wunderbare Weise zum Leben erweckt.



Als der schmale Pfad die Besucher und passenderweise auch einige Kamele wie durch ein Nadelöhr auf den Vorplatz entlässt, stehen alle wie zusammengefegt in kleinen Haufen am Rand, so, als wollten sie nicht stören. Die ferne Fassade des Schatzhauses muss für eine Weile noch fern bleiben. Ihre Größe und Erhabenheit sind gemacht für Blicke aus der Distanz und für das Staunen. Jahrhundertelang lag das alte Reich der Nabatäer hinter Sand und Fels versteckt, kein Forschungsreisender fand dorthin, und nur wenige hatten überhaupt eine Ahnung von seiner Existenz. Petra war das arabische Atlantis. Der christliche Pilger Thetmar gelangte als vorerst letzter abendländischer Besucher im Jahr 1217 in die Stadt. Bald darauf begann Europa Petra zu vergessen – all ihre Höhlen, gewaltigen Hallen, Grabanlagen, Tempel und prunkvolle Fassaden.
Als der Schweizer Johann Ludwig Burckhardt, getarnt als arabischer Scheich Ibrahim, Petra am 22. August 1812 wiederentdeckte, musste er seine Begeisterung vor Beduinen verbergen, die argwöhnten, er wolle nach Schätzen der Nabatäer suchen.
Heute dürfen Besucher sich wieder großäugig wundern und beeindrucken lassen von all den Pilastern, Treppen, Tempelfassaden und Totenhallen. Wie aber kann es sein, dass ausgerechnet Nomaden zu Königen und Beduinen zu genialen Baumeistern wurden? Reich geworden sind die Nabatäer als antike Tankstellenpächter, Herbergsleiter und Schutzzoll-Eintreiber.





Als nabatäische Nomaden vor rund 2100 Jahren ins Ostjordanland kamen, eröffnete sich ihnen dort die reinste Goldgrube. Bei Petra kreuzten sich mehrere Handelswege, darunter auch die uralte Weihrauchstraße. Die Kamelkarawanen, die von Südarabien durch das Jordantal bis zum Mittelmeer zogen, zahlten für die Karawanenstationen und Futterplätze, die ihnen die Nabatäer errichteten, für den Schutz vor Überfällen und für die Versorgung mit Wasser. Im Austausch dafür brachten sie Ideen und technisches Know-how nach Petra.
Die Nabatäer setzten das unter anderem in ein geniales Bewässerungssystem um. Überall in der Stadt waren Zisternen und kilometerlange Wasserleitungen in den Fels geschlagen. Sogar eine Luxus-Badeanlage inklusive Fußbodenheizung haben die nabatäischen Architekten geschaffen.
Restlos beeindruckt lassen die Besucher ihrer Begeisterung für die Baukunst jetzt mit einem Crescendo aus Kameraklicken völlig freien Lauf. Erst verpixeln sie Petra hochauflösend und posieren anschließend selbst fürs Foto – vor den verwitterten Reliefs, den müden Kamelen und zusammen mit den beiden Beduinen, die in der Uniform nabatäischer Soldaten posieren.
Bis Mitte der 1980er-Jahre dienten die kühlen Grabbauten den Beduinen vom Stamm der B’doul, Nachfahren der Nabatäer, als Wohnungen und Ziegenställe. Um Petra touristisch besser nutzen zu können, siedelte die jordanische Regierung die B’doul jedoch zwangsweise um. Heute leben sie in den umliegenden Dörfern, verdienen am Petra-Tourismus jedoch mit. Sie arbeiten als Fremdenführer und Souvenirverkäufer und schauen dabei wie Anthropologen auf die Touristen. Menschen, die vier Dinar für ein Abbild des Khazaneh al-Firaun als Kühlschrankmagnet bezahlen, sind komisch, Kulturkletterer, die in praller Mittagssonne Petra entdecken wollen, noch komischer, und am komischsten sind wohl die Eselreiter.
Sei’s drum! Ohne Hemmungen traben die Besucher über rund 800, von Millionen Schuhsohlen sturzglattpolierte Stufen hinauf zum Deir-Plateau und folgen dann dem Hinweisschild zum „Ende der Welt“. Dieses Ende ist ein Balkon über einer rasant abfallenden Schlucht. Von dort oben schaut man auf einen weiten Horizont, vor dem eine gedehnte Landschaft aus schroffen Tafelbergen, elegant geschwungenen Hügeln, gestaffelten Felskuppen, Quadern und isolierten Kegeln liegt – die arabische Wüste.
Nichts als Natur: ein Himmel, so blau, als wäre er gelogen, und darunter pinseln Gelb, Braun und Schwarz ein Gemälde, in das Caspar David Friedrich seinen Mönch auch hätte stellen können. Jetzt ist es doch mit aller Macht wieder zurückgekehrt – das Staunen. Eine Geld-zurück-Garantie gibt es für Petra- Besucher nicht, wohl aber das feste Versprechen sich immer wieder aufs Neue wundern zu können.
Text Copyright: Nicole Quint. Veröffentlichung / Vervielfältigung nur mit Autorisierung.
Zu Autorin: Nicole Quint lebt als freie Journalistin und Buchautorin meist auf Reisen und zwischendurch an der Mecklenburgischen Ostseeküste. www.quint-und-quer.de